Gerda Boyesen (1922 -2005) gilt als die Pionierin der Körperpsychotherapie. Sie wurde in Bergen in Norwegen geboren. Den Hintergrund ihrer Arbeit bilden: Körpertherapie bei Ola Rakness (Schüler und Biograf von Wilhelm Reich), Psychologiestudium, physiotherapeutisches Fachstudium, klinische Praxis in der Universitätspsychiatrie und Arbeit in eigener Praxis in Norwegen. Sie ging 1967 nach London, arbeitete zunächst als Analytikerin und gründete dort ihr erstes Lehrinstitut. Von hier aus bildete sie weltweit eine große Zahl biodynamischer TherapeutInnen aus und sie schuf eine eigenständige Psychotherapierichtung: die Biodynamische Psychotherapie nach Gerda Boyesen.

Zu Beginn war sie in aufreibendem Widerstreit mit dem freudianischen Zeitgeist einer allen körpertherapeutischen Ansätzen feindlichen eingestellten Mainstream Psychotherapie (bis heute werden sie von deutschen Krankenkassen in der Regel nicht anerkannt).

Wie Reich war sie der Auffassung, dass die seelischen Leiden ohne ihre körperliche Verwurzelung nicht adäquat verstanden und behandelt werden können. Gerda Boyesens zentraler Beitrag zur Körperpsychotherapie ist ihre Entdeckung, dass den vegetativen Reaktionen eine Schlüsselfunktion zukommt bei der Auflösung seelischer Konflikte.

In den Jahren der klinischen Praxis in Norwegen entdeckte sie in ihrer forschenden Eigenständigkeit eher zufällig, was sie 'Psychoperistaltik' nannte. Lange war ihr aufgefallen, dass es bei körperlicher und therapeutischer Arbeit (auch in der Psychiatrie) sehr förderlich für den Heilungs- Prozess ist, achtsam mit körperlichen Stress- und Entspannungssignalen umzugehen und sie zu nutzen. Dafür hat sie auch viele Kernbegriffe geprägt, neben Psychoperistaltik, Primärperson, Verwurzeltes Sprechen, auch Happy-Ending oder zerebraler Integration. In ihrem Tenor stehen diese Begriffe schon im Kontrast zu vielem, was man aus den anderen Schulen kennt vom Charakterpanzer über den Ödipuskomplex zum Wiederholungszwang.

Psychoperistaltik

Darmperistaltik ist der medizinische Fachausdruck für die Bewegung des Darms (zu Verarbeitung und dem Transport von Nahrung). Physiologisch, als parasympathische Reaktion, ist Peristaltik auch ein Zeichen für Entspannung. Gerda Boyesens ging hier weiter: die Entspannungs-Peristaltik ist eine sehr sinnvolle körpereigene Strategie zur Stressbewältigung, überschüssig mobilisierte Energie wird hierdurch sozial verträglich verbraucht, deshalb "Psycho"-Peristaltik. ( alltagssprachlich auch: ich hatte "Schiss").

Psychoperistaltik begleitet so die Auflösung (der Körperspannung) verdrängter emotionaler Konflikte. Die Peristaltik wird deshalb während Behandlungen mit dem Stethoskop abgehört und damit die Aufarbeitung von Konflikten mithilfe von einem Stressindikator dosiert. Optimale Heilungsbedingungen: Anspannung wird wegverdaut, der therapeutische Prozess damit auch als Zusammenarbeit erfahrbar.

Gespräch und Verwurzeltes Sprechen

Sitzungen bei Gerda Boyesen begannen mit einem kurzen Statusbericht, "wie geht es Ihnen heute, was waren die Wirkungen der vorangegangenen Sitzung?". Während der Körperarbeit auf der Liege (mit biodynamischer Massage lud sie zum sogenannten "verwurzelten" Sprechen ein, Empfindungen und Reaktionen auf die Berührung (für die sie Abfolgen und Berührungsqualitäten entwickelte und unterrichtete) in Worten auszudrücken zur Vertiefung von Erfahrungen (Gehirnhälften werden koordiniert). Der analytische Verstand oder klassische Deutungsarbeit soll nicht stattfinden, weil sie den körperpsychotherapeutischen Prozess behindern. Verarbeitung geschieht auch dadurch, dass Sie fühlen und aussprechen können/dürfen, was die Berührung berührt. Sie erfahren, dass diese Berührung ihren angenehmen Erfahrungen zu folgen versucht.

Körperarbeit

Biodynamische Arbeit behandelt die Leiden der Seele über den Körper mit Berührung, verwurzeltem Sprechen, Psychoperistaltik und Anderem. Jede Sitzung beendet eine Nachruhe (der Therapeut verlässt dabei den Therapieraum). Sie unterstützt die Integrationsfähigkkeiten der Klienten (zerebrale Integration nannte sie es).

Sie entwickelte und modifizierte eine Vielzahl von Methoden, wie die Unterstützung von spontanem Ausdruck (eine Abwandlung vonReichs Vegethoterapie) und Körperübungen, Massageabfolgen und Berührungsarten, die sie in verschiedenen Ausbildungsmodulen unterrichtet hat. Alle Methoden sollen je nach Situation und Klientenpersönlichkeit eingesetzt. werden. Therapiesitzungen enden bei ihr mit "Happy-Ending", d.h. Entspannung, Psychoperistaltik, Nachruhe. Klienten erfahren Integration als Selbstwirksamkeit.

Gerda Boyesens einzigartiges Wissen um die vegetative Reregulierung, analytische Zusammenhänge und ihre langjährige psychiatrische, psychotherapeutische und körpertherapeutische Erfahrung ist in ihr Therapiemethodengebäude und Ausbildungen eingeflossen. Lehre und Methoden hat sie zeitlebens weiterentwickelt, zentral blieb dabei eine wohlwollende, nicht pathologisierende, fördernde Haltung des Therapeuten zur "Heilung der Seele".